Hinter dem Begriff F. V. verbirgt sich eine große Vielfalt von Gruppen und Tätigkeiten. Im Wesentlichen bezieht er sich auf Migranten, die als ambulante Geschäftsleute in einer bestimmten Region (nicht selten auch innerhalb eines Landes) umherzogen, um ihre Waren und Dienstleistungen anzubieten. Wie ein Großteil der Migranten (oft auch als Vaganten bezeichnet) kamen die meisten von ihnen aus ärmeren Gebieten, z. B. aus Gebirgsregionen, in denen es nicht genügend Erwerbsmöglichkeiten gab, sodass das Einkommen durch Wanderarbeit ergänzt wurde ( Arbeitsmigration) [1]; [2]; [6].
Innerhalb des F. V. kann zwischen jenen, die ohne Familie und jenen, die mit ihrer Familie reisten, unterschieden werden. Bei den Ersteren handelte es sich durchwegs um Männer, die allein oder in kleinen Gruppen arbeiteten, oft als Kaufleute, Musikanten oder im Hausierhandel; im zweiten Fall reisten und arbeiteten Mann, Frau und Kinder – und manchmal mehrere Familien – gemeinsam.
Das F. V. umfasste nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung, doch durch seine ambulante Lebensweise zog es stets große Aufmerksamkeit auf sich. So betrachteten viele Behörden ambulante Berufe als Deckmantel für Bettelei, Schwindelei oder für kriminelle Aktivitäten (vgl. Devianz) [4]; [5]. Auch die sesshafte Bevölkerung begegnete ihnen häufig mit Misstrauen. Da aber viele ambulante Erwerbstätige einen festen Kundenkreis aufbauten (v. a. in isolierten Gebieten), wurden sie von der sesshaften Bevölkerung auch geschätzt. Die Einwohner von Dörfern und Städten waren manchmal abhängig vom F. V., da dieses bestimmte am Ort nicht vorhandene Produkte (z. B. Kaffee, Zucker, Arzneimittel, Textilien oder auch Lektüre) und Dienste (Musik, Vergnügungen, Schauspiel) anbot [3].
Der unter dem F. V. am häufigsten vorkommende Beruf war der des Hausierers. Allein reisende, aus bestimmten Regionen und Dörfern stammende Männer verkauften nicht selten hunderte Kilometer von ihren Geburtsorten entfernt ihre Ware, z. B. die sog. Tödden aus Tecklenburg, Lingen und Meppen, die mit Textilien handelten, die Hausierer aus dem österr. Grödental, Eisenwarenhändler aus dem oberen Sauerland oder Händler aus der Auvergne. In vielen Fällen arbeiteten sie in sog. Kompanien zusammen, die Meister und Lehrlinge kannten und ihre Waren an festen Plätzen (Depots) aufbewahrten. Aufgrund ihrer saisonabhängigen Tätigkeit kehrten die Männer meistens zweimal pro Jahr (zu Weihnachten und zu Pfingsten) zu ihren Familien zurück [2]; [3].
Denjenigen, die mit ihren Familien umherzogen (meist zu Fuß, aber auch mit offenen Wagen), begegnete man seitens der Behörden noch misstrauischer als Alleinreisenden, da sie offensichtlich keine feste Heimat besaßen, ihre Identität unklar blieb und man befürchtete, dass sie die lokale Armenfürsorge belasten könnten (Armen- und Bettelwesen). Zudem vermutete man, dass diese in zeitgenössischen Quellen als »schädliche Herumtreiber« und »Vaganten« Bezeichneten sich normalen Arbeitsverhältnissen entziehen wollten und von Diebstahl, Betrug und Bettelei lebten. In den meisten Ländern Europas wurden diese Familiengruppen als sog. Landfahrer, Jenische, Zigeuner, gypsies, gitanos und mit ähnlichen Begriffen stigmatisiert. V. a. vom Ende des 16. Jh.s bis zur Mitte des 17. Jh.s intensivierte man in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden die Jagd auf »Zigeuner und ähnliches Gesindel«. Im Zuge dieser Verfolgungen fanden manche von ihnen den Tod [4]; [5].
Obwohl Kriminalität und Armut sicherlich den Alltag eines Teils dieser Menschen bestimmten, verdienten die meisten ihr Brot mit Hausieren, Musizieren und anderen Formen von Unterhaltung, z. B. mit Gaukelei, Marionettentheater und dem Vorführen von exotischen Tieren wie Bären und Kamelen. In dieser Hinsicht stellten sie Vorläufer des späteren Zirkus dar. Frauen spielten im F. V. eine bedeutende Rolle als Wahrsagerinnen, Hausiererinnen und Artistinnen. Die meisten im Familienverband Reisenden besaßen zwar keine Häuser, kehrten aber meistens im Winter an bestimmte Orte zurück. Das Phänomen des F. V. beschränkte sich nicht auf die Nz.; bis in das 20. Jh. gab es ambulante Berufe, erst nach dem Zweiten Weltkrieg ließ der Bedarf an ihren Diensten allmählich nach.
Verwandte Artikel: Bettler | Hausierhandel | Mobilität | Vagabund | Wanderarbeiter/in | Zigeuner
Bibliography
- [1] L. Fontaine, History of Pedlars in Europe, 1996
- [2] J. Lucassen, Migrant Labour in Europe, 1600–1900. The Drift to the North Sea, 1987
- [3] L. Lucassen, A Blind Spot. Migratory and Travelling Groups in Western European Historiography, in: International Review of Social History 38, 1993, 209–235
- [4] L. Lucassen, Zigeuner. Die Geschichte eines polizeilichen Ordnungsbegriffes in Deutschland 1700–1945, 1996
- [5] L. Lucassen, Zigeuner im frühnzl. Deutschland. Neue Forschungsergebnisse, -probleme, und -vorschläge, in: K. Härter (Hrsg.), Policey und frühnzl. Gesellschaft, 2000, 235–262
- [6] M. Spufford, The Great Reclothing of Rural England. Petty Chapmen and Their Wares in the Seventeenth Century, 1984.