1. Entstehung
Um den Rechtspluralismus des Ancien Régime abzuschaffen und eine auf Gesetz gegründete Rechtseinheit zu verwirklichen, sah die Revolutionsverfassung von 1791 den Erlass eines einheitlichen C. C. (»Bürgerliches Gesetzbuchs«) vor (vgl. Privatrecht). Zwischen 1791 und 1799 wurden vier Entwürfe erstellt, darunter drei durch Jean-Jacques Régis de Cambacérès; keiner davon wurde aber angenommen. Dass es 1804 in Frankreich zur Kodifikation des C. C. kam, erklärt sich aus dem Bemühen der Konsulatsregierung um Stabilität nach zehn Jahren der Französischen Revolution und aus dem politischen Projekt Napoleons I., die Gesellschaft auf ein »Granitfundament« zu gründen und die nationale Einheit fest an einen starken Staat zu binden.
Vom 12. August 1800 an war die Redaktion eines Entwurfs einem Ausschuss von vier Mitgliedern anvertraut: Jean-Etienne Portalis, Malleville, Bigot de Préameneu und Tronchet. Gewählt wegen ihrer umfassenden Rechtserfahrung und ihrer politischen Mäßigung, vertraten sie die beiden Traditionen des alten Rechts: Portalis und Malleville das vom Röm. Recht (Gemeines Recht) beeinflusste droit écrit (»geschriebenes Recht«) Südfrankreichs, die Übrigen das Gewohnheitsrecht ( droit coutumier) Nordfrankreichs. Vorbereitet in vier Monaten, dann überprüft durch das tribunal de cassation und die Berufungsgerichte, wurde der Entwurf lange im Conseil d'Etat diskutiert, woran auch Napoleon I. teilnahm. Schließlich lag der Entwurf den gesetzgebenden Versammlungen vor und wurde als Code civil des français am 21. März 1804 veröffentlicht. Er bildete als einer der cinq codes (»fünf Gesetzbücher«) neben dem Code de commerce (Handelsgesetzbuch), dem Code de procédure civil (Zivilprozessordnung), dem Code d'instruction criminelle (Strafprozessordnung) und dem Code pénal (Strafgesetzbuch) den Kern der damaligen Rechtsreform Frankreichs.
2. Charakter und Inhalt
Der C. C. gliedert sich in drei Teile und folgt damit den röm.-rechtlichen Instituten-Lehrbüchern, aber in der Umgestaltung durch die moderne Doktrin: Personen, Sachen, Verträge. Inhaltlich schuf der C. C. kein neues Privatrecht. Er verwirklichte vielmehr eine »Transaktion« (Portalis), d. h. eine Verbindung zwischen »dem droit écrit und den Gewohnheiten«, aber auch zwischen dem Erbe des Ancien Régime (droit écrit, Gewohnheiten, königliche Gesetzgebung und Doktrin) und der Französischen Revolution. Der Inhalt des C. C. spiegelt diesen Kompromissgeist wider. Die Redaktoren bestätigten zwar verschiedene revolutionäre Neuerungen, aber sie nuancierten davon auch die Gleichheit und den Individualismus, ja verformten jene manchmal sogar, indem sie am alten Recht Anleihen nahmen und dem Staat eine wichtige Rolle reservierten.
Der C. C. geht z. T. auf die vorrevolutionäre königliche Gesetzgebung zurück, so etwa in der Wiederherstellung der traditionellen Familie. Um die Familienstabilität zu gewährleisten, unterwarf er die Eheschließung der öffentlichen und elterlichen Gewalt (Elternrecht) und schränkte die Scheidungsmöglichkeit ein (Eheauflösung); er verhinderte die Gleichstellung der nichtehelichen Kinder, um die Ruhe der Familie zu bewahren; er gründete den Zusammenhalt der Familie auf die Autorität des Ehemannes und Vaters analog zur Kaisermacht und nahm dafür die Hilfe der öffentlichen Ordnung in Anspruch; die verheiratete Frau wurde nahezu in die Rechtsunfähigkeit gedrängt. Das eheliche Güterrecht illustriert bes. die erwähnte Verbindung von droit écrit und droit coutumier, denn der C. C. setzte zwar als gesetzlichen Güterstand die Fahrnisgemeinschaft des droit coutumier fest, widmete aber ebenfalls dem Dotalsystem des droit écrit zahlreiche Bestimmungen.
Hinsichtlich der gesetzlichen Erbfolge (Erbrecht) ließen sich die Verfasser sowohl von der im Röm. Recht festgelegten Erbfolgeordnung wie auch von Ergebnissen der Revolution leiten: Ihre Gleichheit blieb trotz einiger wesentlicher Ausnahmen (Fremde, nichteheliche Kinder) Grundsatz, aber im Gegensatz dazu trennte sich der C. C. vom revolutionären Recht, indem er im Namen einer restaurierten Hausautorität die Testierfreiheit rehabilitierte (Testament).
Als »universelle Seele der Gesetzgebung« (Portalis) nimmt das Eigentum einen zentralen Platz im Gesetzbuch ein. Es wird als »das Recht, eine Sache auf die unbeschränkteste Weise (la plus absolue) zu benutzen und darüber zu verfügen« (Art. 544) definiert. Die Betonung dieses Absolutismus drückte den Willen aus, unwiderruflich mit dem geteilten Eigentum der feudalen Bodenordnung, etwa des Grundherrn und seiner Bauern (Grundherrschaft), zu brechen und den Eigentümer von feudalen und gemeinschaftlichen Belastungen freizumachen. Das Eigentumsrecht ist allerdings durch die Staatsmacht und die Rücksicht auf die Nachbarn begrenzt. Dieser gemäßigte Individualismus (Individualität) charakterisiert auch das Vertrags-Recht, da die Kodifikatoren der freien Ausübung des individuellen Willens wichtige Grenzen ziehen wie insbes. die, nicht von den »Gesetzen, welche die öffentliche Ordnung und die guten Sitten angehen«, abzuweichen (Art. 6). Eine weitere Hauptbestimmung schließlich (Art. 1382) bestätigte den allgemeinen Haftungsgrundsatz, der bereits von der naturrechtlichen Lehre aufgestellt worden war.
3. Wirkungen und Würdigung
Der C. C. galt außer in Frankreich einerseits in franz. Satellitenstaaten und daher u. a. bis 1900 in Teilen Deutschlands (Rheinisches Recht), in Teilen Polens bis nach 1945, kurzfristig in Oberitalien und in annektierten Gebieten der Habsburgermonarchie, andererseits in den franz. Kolonien. Er wurde zum Modell für zahlreiche ausländische Rechte, wie etwa in anderen romanischen, auch lateinamerikan. Staaten. Weltweit wurde er zum bekanntesten Zivilgesetzbuch.
In Frankreich hat der C. C. alle politischen Regime überlebt. Jedoch erfuhr er ab dem Ende des 19. Jh.s tiefe Umwandlungen. Einerseits dominierte nun der Individualismus im Familienrecht zugunsten der unehelichen Kinder und der verheirateten Frau, andererseits trat bes. infolge der wachsenden Staatsintervention ein starker Rückgang an Freiheit im Eigentums-, Vertrags- und Schadenersatz-Recht ein. In diesen Bereichen spricht man gern von einer »Sozialisierung« des Privatrechts.
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Bibliography
- [1] Le Code civil, 1804–2004: livre du bicentenaire, 2004
- [2] J.-L. Halpérin, L'impossible Code civil, 1992
- [3] J.-L. Halpérin, Le Code civil, 2003
- [4] Y. Lequette / L. Leveneur, Le Code civil, 1804–2004: un passé, un présent, un avenir, 2004
- [5] X. Martin, Mythologie du code Napoléon. Aux soubassements de la France moderne, 2003.